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Schluss mit dem Bulimielernen – die Matura gehört abgeschafft!

Ich habe es geschafft. Aus, vorbei, finito, finished. Es ist ein erhebendes Gefühl. 13 lange Jahre liegen nun hinter mir. 13 Jahre des Sitzens, des Sich-berieseln-Lassens, des stumpfsinnigen Bulimielernens. Die halbe Zeit meines Lebens habe ich in der Schule verbracht. Nun, mit dem Maturazeugnis in meinen Händen, brauche ich nie mehr die Schulbank zu drücken. Jetzt stellen sich die Nachwehen dieser für jeden Schüler so wichtigen und entscheidenden Prüfungstage ein. Vor mir liegt das ganze Leben, mit allen Ungewissheiten, Herausforderungen, Chancen.

Einmal noch werfe ich den Blick zurück auf die entbehrungsreichen Prüfungswochen. Und komme dabei nicht umhin, mir die Sinnfrage zu stellen. Im Abschlussjahr, wenn man von der unablässigen Lernerei die Nase bereits gestrichen voll hat, und nur mehr darauf wartet, endlich die letzte Stufe der Jahrgangsleiter in einer schier nie enden wollenden Kletterpartie zu erklimmen, zeichnet sich am Horizont ein scheinbar unüberwindbarer Gipfel ab. Die Matura –  oder Reifeprüfung.

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Der Autor bei seiner mündlichen Prüfung

R-E-I-F-E-prüfung

Diese eine Klausur stellt den Anspruch, uns von einem Tag auf den anderen vom unreifen Jugendlichen zum vernünftigen Erwachsenen zu machen. Tatsächlich aber ist die Erfüllung dieses Anspruches natürlich reinste Utopie (die einzige Reife nach der Matura war meine Urlaubsreife) und als Absolvent fällt es mir schwer, überhaupt positive Seiten an dem Lernmarathon mit dem klingenden Namen „Standardisierte Reife- und Diplomprüfung“ zu finden. Man stelle sich vor: Jemand hat in den vier oder fünf Jahren seiner Oberstufenlaufbahn stets gute Leistungen erbracht, ist bei der Matura jedoch nervös und kann so seine Fähigkeiten nicht ausspielen. Überschattet diese Momentaufnahme dann nicht die bravourösen Leistungen aus der Zeit davor?

Gerade die mündlichen Prüfungen gleichen einem Lotteriespiel. Dabei ist eine bestimmte Zahl an Themenpools vorgegeben. Der Kandidat zieht zwei Kuverts und entscheidet sich dann für ein Stoffgebiet – daraus werden die Fragen gestellt. Im Idealfall deckt sich der im Unterricht behandelte Stoff mit diesen Themengebieten. In der Realität ist das aber – hier spreche ich aus Erfahrung – oftmals nicht der Fall. Das bedeutet, es müssen selbstständig Stoffgebiete nachgelernt werden. Vorbereitungsstunden gibt es ja auch kaum mehr. Natürlich hat man es bei der Prüfung leichter, wenn man ein Themengebiet zieht, das in den vier oder fünf Unterrichtsjahren an der Schule – womöglich sogar mehrmals – bearbeitet wurde.

Lehrer meint: „Ein lustiges Schauspiel“

Eigentlich müsste doch bereits der Abschluss – ohne Matura – einer allgemein- oder berufsbildenden höheren Schule zum Studium berechtigen. Zumal es bei vielen Studiengängen ohnehin Aufnahmsprüfungen gibt. Dieser Meinung sind neben den Schülern, die damit von einem gefürchteten Schreckgespenst befreit wären, auch bereits einige Vertreter der Lehrerschaft. Einer von ihnen ist Karlheinz Rohrer, Pädagogik-Professor an der BAKIP in Hartberg.

Eigentlich „mag“ er die Matura: „Es ist ein lustiges Schauspiel.“ Aber: „Ich glaube, sie kostet zu viel Energie. Es dreht sich alles nur mehr um die Matura. Sie raubt im letzten Jahr die ganze Lernzeit und macht für alle Beteiligten zu viel Stress. Und das zum Zeitpunkt, wo die Schüler und Schülerinnen am weitesten sind, wo man am besten mit ihnen arbeiten könnte“. Die ganze Energie würde in die Maturafächer fließen, und dann in Bereichen, in denen nicht maturiert wird, fehlen. Stattdessen auch im letzten Jahr normal unterrichten zu können und nicht auf die große Prüfung hinarbeiten zu müssen, wäre viel lustiger und bringe auch viel mehr, ist Rohrer überzeugt.

karlheinz rohrer
Karlheinz Rohrer unterrichtet an der BAKIP in Hartberg. Er meint, die Matura raubt den Schülern die Zeit zum Lernen.

Alternativ schlägt er vor, sich nur auf die Diplomarbeiten, die ebenfalls im Zuge der zentralisierten Reifeprüfung eingeführt wurde, zu beschränken, und diese dann zum Abschluss vor Publikum zu präsentieren. „Damit das Ritual erhalten bleibt.“ Die durch die Zentralmatura angestrebte Vergleichbarkeit besteht für Rohrer nur theoretisch: „Wie kann man Mathematik an der BAKIP und der HTL vergleichen? Ich denke, dass die berufsbildenden Schulen andere Schwerpunkte haben müssen“. Es fließe zu viel Energie in die zentralen Fächer, die schultypischen Spezialfächer verlören an Gewicht – gerade bei der erzwungenen Vereinheitlichung: „Ich glaube, dass die Zentralmatura die Ausbildung insgesamt nicht verbessert.“

Die Tatsache, dass die Matura dennoch von den eigenen Lehrern bewertet wird, eröffne erst wieder Spielräume: „Jemand, der das übergenau nimmt, wird sicher zu anderen Ergebnissen kommen, als jemand, der denkt, ist eh nicht so wichtig“. Aber auch wenn zentral beurteilt würde, gäbe es nur eine Scheinobjektivität – in Fächern wie Deutsch oder eben Pädagogik ließe sich nicht immer eindeutig über richtig oder falsch urteilen.

Das Wichtigste ist für Rohrer, dass „meine Schüler und Schülerinnen aus der Stunde rausgehen und verstanden haben, was man gemacht hat“. Dann brauche man auch keine abschließende große Prüfung, für die der Stoff aufgefrischt werden muss. Ob sich die Lernenden ohne Matura überhaupt noch anstrengen würden? „Ja. Ich glaube sie wollen am Schluss [im Abschlusszeugnis, Anm.] gute Noten haben.“ Eine tatsächliche Abschaffung der Reifeprüfung hält der Pädagoge für unrealistisch: „Es gibt sehr viele Leute, die sehr, sehr gut verdienen an der Matura – das sind die Leute an den Schalthebeln“.