senf zum sonntag

Senf zum Sonntag: Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben

Oh, wie ist unsere Welt gefährlich! Für diese Gefahren müssen wir uns sensibilisieren, hat es geheißen. Das fängt schon im Kindergarten an. Da werden schon die Dreijährigen für die Gefahren im Straßenverkehr sensibilisiert. Später, in der Schule, gibt es ganz tolle Projekte, um Kinder für die Gefahr zu sensibilisieren, die von Alkohol und Drogen ausgeht, von Sex oder vom Umgang mit dem Internet.

Natürlich müssen wir auch Erwachsene sensibilisieren. Eltern müssen sensibilisiert werden für die Gefahren, die auf Kinderspielplätzen drohen. Und sowieso für die Gefahren, die von Krankheiten ausgehen. Aber natürlich auch für die Gefahren, die Impfungen gegen diese Krankheiten mit sich bringen… Sensibilisieren ist das Allheilmittel unserer Zeit.

Ohne leichte Alltagsparanoia bist du heutzutage nicht gesellschaftsfähig.

Wir werden also für alles und noch viel mehr sensibilisiert. Das führt dazu, dass wir überall Gefahren zu entdecken meinen. Wer aber überall Gefahren wittert und zudem noch ein halbwegs kluger Mensch ist, wird tunlichst diese Gefahren vermeiden und viele Dinge erst gar nicht mehr versuchen. Nur kein Risiko eingehen! Dann wird’s aber ziemlich fad im Leben…

Wie haben die Generationen vor uns bloß überlebt? Wie konnten unsere Großeltern und Urgroßeltern lernen, Gefahren einzuschätzen, bevor die Sensibilisierungswut in Mode kam? Ganz einfach: Sie haben ihre eigenen Erfahrungen gemacht. Sie haben sich von Klein auf dabei mitunter auch in Gefahr begeben. Sind beim Klettern vom Kirschbaum gefallen, haben sich beim Spielen die Knie aufgeschlagen oder von zu viel Schokolade Bauchweg bekommen. Das war bestimmt nicht angenehm, aber lehrreich.

Wer lernen will, muss Erfahrungen machen. Wer viel lernen will, muss viele Erfahrungen machen! Wer viele Erfahrungen macht, muss damit rechnen, dass auch ein gewisser Prozentsatz davon negativ ist. Na und? Auch daraus lernt man und das nächste Mal schätzt man das Risiko besser ein.

Ich wünsche mir mehr Mut zum Erfahrungen machen, zum Risiko, zum Ausprobieren, zum Siegen und zum Scheitern! Wenn wir diesen Mut nicht aufbringen, enden wir bald als Gesellschaft übersensibilisierter Angsthasen, die zwar alle Gefahren kennen, aber nicht einschätzen können.

Ich will nicht vor lauter Hose voll ein Leben lang in Stand-by laufen. Her mit den Erfahrungen! Wer ist dabei?