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Umwege gehen, um ans Ziel zu gelangen: So tickt Bibiana Neffe

WIR OSTSTEIRER reden mit Menschen, die etwas zu erzählen haben. Wir wollen wissen, wie die Oststeirer ticken. Heute erzählt uns Bibiana Neffe aus Hofstätten von ihrem beruflichen Zick-Zack-Weg. Manche ihrer Jobs würde man bei dieser zarten Frau eher nicht erwarten…

Wie tickst du, Bibiana Neffe?

Ich bin… jetzt da

Ich will… Ja, wenn ich das wüsste?

Ich werde nie… Keine Ahnung. Bei mir ist immer alles möglich.

WIR OSTSTEIRER (WOS): Du hast gesagt, ich bist jetzt da. Wo ist „da“?
Bibiana Neffe: Aktuell ist „da“ der Wiedereinstieg in den Beruf als Friseurin, bei mir dreht sich darum im Moment sehr viel. Es ist 24 Jahre her, dass ich die LAP als Friseurin gemacht habe und in der ganzen letzten Zeit habe ich kaum etwas mit Haaren zu tun gehabt, außer mit meinen eigenen.

WOS: Warum hast du diesen Beruf damals aufgegeben?
Bibiana: Meine Tochter ist krank geworden. Das war vor ungefähr 20 Jahren. Asthma, und sie hat dann auch viele Allergien entwickelt. Natürlich, wenn du drei Wochen auf Kur bist und das Kind permanent krank ist, ist das mit einer Arbeitsstelle einfach beschissen. Ich hab dann aufgehört und war nur bei Nina zuhause.

WOS: War’s das dann mit deinem beruflichen Werdegang?
Bibiana: Nein, überhaupt nicht! Eine Zeit lang war ich Hausfrau und Mama. Später hab ich für die Caritas Kinder erzogen, nebenbei habe ich Schwimmkurse mit meinem Papa gegeben für Kinder mit Behinderungen. Ich habe dann eine Ausbildung begonnen zum Pflegehelfer, in der Zeit hab ich nebenbei auch einen Rettungshund geführt. Bis zu meiner zweiten Schwangerschaft habe ich als Pflegehelferin gearbeitet. Ich war lange Zeit in der Gerontologie, also in der Altenpflege tätig, ich habe diese Zeit geliebt.

WOS: Was war das Schöne daran? Altenpflege klingt eher deprimierend…
Bibiana: Ich habe viel mit Alzheimerpatienten gearbeitet. Da weißt du nie, wer dir heute entgegenkommt. Sie haben auch nie gewusst, wer du bist. Ist die Dame oder der Herr heute gut gelaunt? Schmeißt er die heute was um die Ohren? Einmal meinte eine Dame, die Zähne passen nicht. Es waren dann die Zähne der Nachbarin, aber sie hat wenigsten noch gewusst, das die Zähne in den Mund gehören. Solche Aktionen hat es oft gegeben und dann ist es darum gegangen, ihnen klar zu machen, dass die Zähne wieder raus müssen. Ich glaube, das hat meine Kreativität gefördert. Ich bin oft genug mit dem Lift vom 1. Stock in den 2. Stock gefahren, und dann war ich plötzlich beim „Kastner“.

WOS: Wie bitte?
Bibiana: Ja, weil die Bewohnerin früher jeden Tag beim „Kastner“ einkaufen gegangen ist. Das war sie gewohnt, das wollte sie. Aber das war natürlich nicht machbar.

WOS: Und dann habt ihr „Kastner“ gespielt?
Bibiana: Genau. Wir sind vom 1. Stock in den 2. Stock gefahren und auch wenn sich das für manche komisch anhört, sie ist davon ausgegangen, wir sind in der Straßenbahn. Das Spiel hab ich mitgespielt und sie war in dem Moment einfach glücklich. Natürlich habe ich sie angeschwindelt, aber ich bin in ihre Welt mit eingetaucht und sie war zufrieden. Wenn ich den Menschen glücklich machen kann, zufrieden machen kann und der mir dann am Abend ins Bett geht, ohne zu randalieren, ohne ein Medikament zu brauchen – nur, weil er heute beim Kastner war und weil er das die letzten 50 Jahre jeden Tag gemacht hat – da finde ich nichts Verwerfliches daran. Manchmal muss man Umwege gehen, um an das Ziel zu gelangen, das in dem Moment genau zu dieser Person passt.

WOS: In der Altenpflege warst du immer wieder mit Tod und Sterben konfrontiert. Wie bist du damit umgegangen?
Bibiana: Ich bin für viele Menschen da gewesen, wenn die Augen geschlossen wurden, habe viele traurige Augen von Angehörigen gesehen. Man erkennt, wann ein Mensch gehen möchte. Der verabschiedet sich oft schon vorher. Eines der bewegensten Erlebnisse war, als eine Klientin zu mir sagte: „Die Mama war da.“ Aha, und was hat die Mama gesagt? „Ich soll mein Gewand richten, das Schönste, das ich habe.“ Gut, dann richten wir es her. Und dann haben wir es hergerichtet, das schönste Gewand, dass sie im Kasten hatte. Die Schuhe, das Kleid, Unterwäsche. Und drei Tage später ist sie gestorben. Also, sie hat mir da schon Tage vorher gesagt, worum es geht.

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Bibiana Neffe geht ihren eigenen Weg. Schnurgerade war der noch nie…

WOS: Wieso hast du mit diesem Job aufgehört, der dir doch viel bedeutet hat?
Bibiana: Weil immer weniger Zeit für die Leute geblieben ist. Dann habe ich in den Behindertenbereich gewechselt und bin eben in die Welt der behinderten Menschen mitgegangen. Das war eine große Umstellung. Wie man jemanden ein Essen verabreicht, das war mir klar, wie man Inkontinenzprodukte wechselt, das war mir klar, wie jemand sondiert wird, die Hygiene… das war alles nicht das Thema. Aber dass ich ihnen nicht mehr in die Jacke helfe, denn sie sollen ja in die Selbstständigkeit geführt werden, das war ein richtiges Aha-Erlebnis.

WOS: Also das genaue Gegenteil von dem, das du vorher erlebt hast.
Bibiana: Genau! Mein erster Klient ist gekommen um zu arbeiten. Ich hab gesehen: Aha, der ist schwerstbehindert, kann weder selber essen noch trinken noch reden, kann seine Hände milimeterweise bewegen, aber er kommt zu uns zum Arbeiten!? Seids ihr deppert, was soll er dann da tun? Seine Hauptaufgabe in der ersten Zeit war, mir die Sicherheit zu geben und mir viel zu zeigen. Ich habe von ihm gelernt.

WOS: War das dein erster Klient?
Bibiana: Nein, mein erster Klient hat mich anders aufgerüttelt. Mein erster Nachtdienst: Ich hab ihn gefragt, magst du was essen? Nein. Magst du was trinken? Nein. Sollen wir uns zusammen einen Film anschauen? Nein. Dann meinte er: „Du gehst mir am Arsch und ich gehe jetzt schlafen! Gute Nacht!“ Ok, sehr nett! Was mach ich jetzt? Es ist nur ein Klient da, der geht ins Bett, weil ich ihm auf die Nerven gehe! Bis ich dann verstanden habe: Ok, wir machen das Ganze anders! Nicht ich koche, sondern wir kochen. Nicht ich füttere Esel und Ziegen, sondern wir füttern sie.

WOS: Und das hat dann funktioniert?
Bibiana: Ja. Der Clou ist, ich fürchte mich vor Eseln. Der Klient war sehr nett, er hat die Esel gefüttert, weil er genau gesehen hat, dass ich mich so fürchte. Wer sagt, dass dieser Beruf nur auslaugt, irrt sich. Wenn man bereit ist, einen anderen Weg zu gehen und nicht nur der Betreuer oder Begleiter ist, dann bekommt man auch ganz viel zurück. Er hat für mich die Esel und Ziegen gefüttert, nicht weil ich es ihm angeschafft habe, sondern weil ich gesagt habe, ich fürchte mich vor dem Esel. Weil ich mich nicht besser gemacht habe, als er. Und weil er auch die Chance gehabt hat, besser zu sein als ich. Natürlich gibt es Situationen, wo der Begleiter die Führung übernehmen muss, aber das Verkehrteste ist, so zu tun, als würde man alles wissen.

WOS: Auch in diesem Job bist du nicht dauerhaft geblieben. Warum?
Bibiana: Auch in diesem Bereich wurden die Mittel extrem gekürzt. Man muss aber sehr individuell arbeiten und braucht dafür Zeit. Ein Klient hat nicht erkannt, dass er Zahnschmerzen hatte, er ist auf alle losgegangen, weil er es nicht sagen konnte. Auf einmal hat es für ihn keine 1:1-Betreuung mehr gegeben. Solche Menschen brauchen einen Rückzug, Zeit für sich alleine, einen Betreuer, den sie nur für sich alleine haben und der sich auch ihrem Tempo anpassen kann. Aber wenn diese Zeit nicht mehr da ist und sie auch nicht mehr bezahlt wird, dann  passiert eines: Ich führe sie wieder zurück in die Unselbstständigkeit. Daran wollte ich nicht beteiligt sein.

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Eine starke Frau, die sich auch durchsetzen kann. Ihr Lebenslauf beweist es!

WOS: Was war deine nächste berufliche Station?
Bibiana: Ich habe als Security gearbeitet.

WOS: ??? (Anmerkung der Redaktion: Bibiana ist etwa 160 Zentimeter groß und wiegt keine 50 Kilo)
Bibiana (lacht): Ja, auch, ganz lange Zeit. Ich hab dort auch einen Diensthund geführt. Der war aber auch recht handlich!

WOS: OK, also kleine Frau und kleiner Hund machen Wachdienst. Wie war das? Hat man dich ernst genommen?
Bibiana: Das war echt eine spannende Zeit. Wir haben oft geschaut, die Fähigkeit zu entwickeln, nicht zuzuschlagen, sondern schon vorher zu erkennen, da entsteht etwas. Meine größte Stärke war immer, dass ich so klein bin. Weil ich immer gesagt habe: Tut mir leid, ich bin noch in Ausbildung, machts mir keinen Stress. Hat man einen Kollegen hingeschickt, wie man sich halt einen typischen Security vorstellt, so einsneunzig groß und 100 Kilo, dann war das automatisch ein Feindbild und es hat „geklescht“. Wenn da unsere Frauen hingegangen sind, je kleiner desto besser , war das kein Thema mehr, weil wir einfach in dem Moment keine Gefahr für sie dargestellt haben.

WOS: Nach deinen Erzählungen hast du aus jedem Job wichtige Erfahrungen und Lektionen für dich mitgenommen. Was war das bei dieser Stelle?
Bibiana: Die Macht der Worte. Ich hatte einen Kollegen, der war Jus-Student und irrsinnig wortgewandt. Der hat die Leute verbal geohrfeigt, aber nicht tief, sondern auf so hohem Niveau, dass die Leute sich noch bedankt haben und gegangen sind. Der hat keinen körperlich rausgeschmissen. Worte und Sprache ist etwas, das mich total fasziniert.

WOS: Wieso kehrst du jetzt zurück zum Friseurhandwerk?
Bibiana: Ich hab Spaß daran. Ich bin wieder kreativ. Ich habe in den letzten Jahren viel Bewusstseinsarbeit gemacht, Arbeit nach innen. Dabei habe ich erkannt, das viele noch nicht bereit sind, nach innen zu schauen. Aber Veränderungen mag jeder. Nicht die Veränderung der eigenen Person, aber eine neue Frisur, ein neuer Look. Und es muss schnell gehen. Du kannst den Leuten ganz zackig ein Lachen ins Gesicht zaubern, wenn du außen etwas veränderst. Dann sind sie auch bereit, sich etwas im Inneren anzuschauen.

WOS: Eine neue Frisur soll einen neuen Menschen machen?
Bibiana: Ja, genau. Wie geht es dir, wenn du vom Friseur rausgehst und es gefällt dir?

WOS: Ja, super! Sehr gut!
Bibiana: Aha, na sowas! Nach einem Friseurbesuch fühlt man sich wohl, man fühlt sich schick. Dann geht man nach Hause, was passiert dann mit der Familie? Wenn du mit diesem neuen Selbstwertgefühl ankommst und es geht dir gut, ist es dann noch so tragisch, wenn vielleicht die Puppen der Kinder im Haus herumliegen? Wenn du dich wohlfühlt, beim Spiegel vorbeigehst und sagst, wow, kesse Biene – na, dann liegen halt die Puppen da herum. Andererseits, wenn du heimkommst von einem anstrengendem Arbeitstag und schaust in den Spiegel und denkst dir, irgendwas muss ich mit mir machen und dann stolperst du noch über die Puppen, dann bricht die Welt zusammen. Also wirkt sich das Äußere ganz gewaltig auch im Inneren aus!

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Dieses „ganz bestimmte Kribbeln“ leitet Bibiana: Was Freude macht und sich leicht anfühlt, stimmt.

WOS: Hattest du schon länger vor, wieder in deinem ursprünglichen Beruf zu arbeiten? Willst du dabei jetzt bleiben?
Bibiana: Wenn zu mir vor einem halben Jahr jemand gesagt hätte, du wirst bald wieder Haare schneiden, dann hätte ich gesagt: Ja sicher, aber sonst geht es dir noch gut? Ich habe mich mit so vielen verschiedenen Sachen beschäftigt. Vieles davon habe ich Anfangs für großen Blödsinn gehalten. Heute weiß ich, ich kann nicht sagen, das und das würde ich nie tun. Ich weiß nicht, was das Leben noch bringt. Ich weiß nur, in nächster Zeit werde ich ganz viele Haare schneiden, weil ich ganz viel Spaß dabei habe.

WOS: Dein Weg entsteht offensichtlich beim Gehen und man merkt, du gehst ihn mit Freude!
Bibiana: Genau. Ich bin bereit, andere Wege zu gehen als normal. Ich glaube, das war schon immer meins: Andere Wege einzuschlagen um an ein Ziel zu kommen. Oft kenne ich das Ziel nicht ganz genau, sondern geh einfach dem Spaß nach, der da für mich entsteht. Das ist so eine Art von Gefühl, so eine Leichtigkeit, ein Kribbeln im ganzen Körper – ja, und dem marschier ich dann nach.


 

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