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Wie es ist, nüchtern fortzugehen, wenn all deine Freunde besoffen sind

Alkohol. Lebensmittelpunkt jedes Jugendlichen während seiner Entwicklung vom unmündigen Teenager zum eigenberechtigten Erwachsenen. Trostspender, wenn die erste richtige Beziehung in die Brüche geht. Kompass in der schwierigen hormongesteuerten Zeit der Pubertät. Feiern gehen ohne Alkohol? Undenkbar!

Lange genug hat jeder von uns leidenschaftlich einen ganz bestimmten Tag herbeigesehnt: Den Tag der großen Freiheit, den 18. Geburtstag. Das erste heimliche Bier im zarten Hauptschulalter, ständig in der Angst, nur nicht von seinen Eltern erwischt zu werden. Das erste Achterl Wein, das bei der eigenen Firmung zur Feier des Tages auch von den Verwandten toleriert wurde.

Das erste Sommerfestl, in der ängstlichen Hoffnung, der grimmig dreinblickende Securitymitarbeiter möge doch nicht nach dem Ausweis fragen. Alles vergessen, denn nun kann man sich unter dem Deckmantel des Gesetzes so richtig schön einen reinstellen. Und das will schließlich gebührend gefeiert werden.

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Bei diesem Angebot sind alle froh, wenn einer aus der Runde nüchtern bleibt – und den Rest nach Hause fährt.

Ich selbst habe damals natürlich auch auf meinen Eintritt in das Mannesalter angestoßen – aber mit Leitungsvodka statt Schnaps und Orangensaft statt Bier. Vor gut einem Jahr hatte ich dem Hochprozentigen den Rücken gekehrt. Ohne Ausnahme. Und aus gutem Grund. Trotz Gruppenzwang und hitzigen Diskussionen im Freundeskreis.

Zum Glück haben das irgendwann auch die hartnäckigsten Alkoholliebhaber in meinem sozialen Umfeld kapiert, und ihre fruchtlosen Versuche, mich, den Abstinenzler, zu bekehren, aufgegeben. Und überhaupt: Eigentlich ist sowieso jeder froh, wenn es in der Gruppe jemanden gibt, der den anderen am nächsten Morgen hilft, ihre Erinnerungslücken zu füllen und ihnen noch Monate später ihre betrunkenen Dummheiten vorhält. Beziehungsweise sie im Zweifelsfall auch vor allzu großen Dummheiten bewahrt. Und – ganz besonders wichtig – für die lustige Gesellschaft den Autofahrer spielt.

Nüchtern am Zeltfest? Scheißfad.

Seitdem also gemeinhin akzeptiert wurde, dass tatsächlich kein Tropfen Alkohol über meine Lippen wandern wird, ist das Fortgehen für mich deutlich entspannender geworden. Jetzt im Sommer kommt wieder die Festlzeit. Zugegeben: Ja, die ersten paar Male nüchtern beim Zeltfest waren vor allem eines – scheißfad. Stinklangweilig.

So stand ich also, der introvertierte, pickelgesichtige Teenager, neben der Bühne. Traute mich nicht, andere lustig in Tracht herumhopsende Feierwütige anzusprechen. War zu schüchtern, um meinen schlaksigen Körper selbst zu den Taktschlägen der Musik hin- und herzubewegen.

Alkoholkonsum hat zwar zahlreiche negative Aspekte, bewirkt aber bekanntlich vor allem eines: Man kann aus sich herausgehen, wird lockerer. Als unverbesserlicher Nüchterner musste ich dieses Aus-mir-Herausgehen im unberauschten Zustand erst gewohnt werden und mir aneignen.

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Nüchtern am Zeltfest – damit muss man erst mal klarkommen. Aber: Es geht. Und macht sogar Spaß.

Besoffen ins Dekolleté speiben

Mit der Zeit habe ich, der Unberauschte, der Autofahrer, dann gemerkt: Nüchtern fortzugehen, während alle anderen besoffen sind, ist nicht schlimm. Während ich früher von den minutenlangen „Verhandlungen“ – nein, ich trinke WIRKLICH nicht – genervt war, kann ich heute die nicht von der bloßen Sauferei dominierten Aspekte beim Zeltfest oder in der Disco – ja, die gibt es tatsächlich – in Ruhe genießen.

Neue Leute (auch Mädels, eigene Erfahrung!) kennenlernen, sich mit Freunden treffen – all das geht, man glaube es kaum, auch im nüchternen Zustand. Sogar sehr gut. Kleiner Hinweis: Jungs, es ist ein ziemlicher Fail, wenn man dem potentiellen One-Night-Stand bei jedem Wort fast ins Dekolleté speibt!

Nüchtern fortzugehen, während alle anderen besoffen sind, kann äußerst unterhaltsam sein. Ich finde es immer überaus spannend, Leute, die unter Alkoholeinfluss stehen, zu beobachten. Jeder reagiert auf die Berauschung anders. Die einen werden aggressiv – ein guter Freund hat mich einmal auf einem Ball plötzlich und grundlos gewürgt – andere emotional.

Gerade mit den Streitsüchtigen wird man als Nicht-Betrunkener leichter fertig – man kann sich einfach umdrehen und gehen. Ich denke da an eine Situation auf einem Gleisdorfer Fest vor meiner alkohollosen Zeit zurück. Ein besoffener Trottel hat mich provoziert und mir zudem noch eine Watschn verpasst. Dann hat es gekracht. Genau darauf hat er aber gewartet – zum Glück ist das Ganze damals noch glimpflich ausgegangen.

Mit-Alk-Fortgeher, kurz kategorisiert

Alkohol verändert die Selbstwahrnehmung und steigert das Selbstbewusstsein. Betrunkene werden plötzlich vom Schüchterling zum Weiberheld, manche vergessen dabei auch ihre guten Manieren – der Klapps auf den weiblichen Knackarsch ist leider allzu oft schon die Regel.

Harmloser und ziemlich nice to watch ist dagegen die Fortgeher-Kategorie „Ich-bin-besoffen-deshalb-ziehe-ich-mich-Aus“. Ein schneller Strip auf der Theke – warum nicht? Ich schaue zu und genieße.

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Man findet sie überall: Die Grapscher, die Zahler, die Redenschwinger. Und vereinzelt auch die Amateurstripper. Noch sieht man es ihnen nicht an, aber nach ein paar Gläsern Alkohol zeigen sie sich.

Dann gibt es da noch die Kumpel-Typen. Handschlag oder Umarmung mit jedem vermeintlichen Kameraden, den sie treffen. Also praktisch mit dem halben Partyzelt. Von solchen Kumpels, die meinen, dauernd alle einladen zu müssen, kann man regelrecht profitieren. Gut für mich, weniger gut für sie – 100 Euro oder mehr pro Nacht reißen bei ihnen schon ein beträchtliches Loch ins Geldbörserl.

Immer wieder Spaß haben kann man auch mit den Plaudertaschen. Schafft man es, ihrem Redefluss zu folgen – manchmal besteht er nur mehr aus zusammenhanglosem, albernen Gebrabbel – erfährt man spannende Geschichten. Und die neuesten Gerüchte. Viele Dinge würde der/die Betreffende nüchtern nicht erzählen. Ich sehe dadurch danach so manchen Menschen mit ganz anderen Augen.

Das Beste an der Sache

Fortgehen ohne Alkohol ist für mich das Normalste der Welt. Wenn ich nachts zu fortgeschrittener Stunde (was unweigerlich mit dem weit fortgeschrittenen Durchschnittsalkoholspiegel der Partycrowd einhergeht) nüchtern auf ein Festl gehe und mir die Besoffenen entgegentorkeln, so fühlt es sich für mich nicht seltsam an. Ich kann heute auch unberauscht genauso abgehen, feiern, Spaß haben. Und dann wieder heimfahren, wenn es mir keinen Spaß mehr macht. Ohne auf den Autofahrer zu warten, ein Taxi, oder – ganz schlimm – die Eltern rufen zu müssen.

Also alles eitel Wonne? Fast, denn manche Sachen sind beim Fortgehen wirklich nicht schön anzusehen. Bitte, liebe Alk-Begeisterten, behaltet euren Mageninhalt für euch! Ihr müsst nicht ALLES mit dem Partyvolk teilen!