senf zum sonntag

Mein Selbstbewusstsein so: DES TRAUST DU DI NIE! Und meine große Klappe so: Wetten, dass doch?

Leute, die mich kennen, kennen auch meine riesengroße Klappe. Leute, die mich gut kennen, wissen, dass mein Selbstbewusstsein nicht annähernd so groß ist. Leute, die mich sehr gut kennen, wissen, dass sich die beiden nicht sonderlich mögen. Die zwei bringen mich immer wieder in interessante Situationen:

Mein Selbstbewusstsein so: DES TRAUST DU DI NIE! Und die große Klappe so: Wetten, dass doch?

Vor einigen Wochen suchte ein lieber Bekannter Hobbymodels für eine Modenschau in Graz. Es muss eine Mischung aus Wahnsinn, geistiger Umnachtung und „jetzt erst recht“ gewesen sein, die meine große Klappe veranlasst hat, mich auf diesen Aufruf zu melden – und schon war ich dabei. Gestern sollte ich also über den Laufsteg stöckeln – gemeinsam mit (unter anderem) einer ehemaligen und einer angehenden Miss Styria und einem 24-jährigen männlichen Topmodel… Mein Selbstbewusstsein winkte mir noch einmal kurz zu, bevor es sich in den Keller verabschiedete.

Meine große Klappe und ich waren also auf uns allein gestellt. „Das hast du jetzt davon,“ sagte ich ihr. „Du hast uns das eingebrockt, du bringst uns da jetzt durch, verstanden?“ „Kannst du haben,“ meinte die große Klappe lakonisch und schubste mich hinter den ganzen Schönheiten Richtung Umkleideraum.

Dort wuselten schon einige Profis herum, die ihre Outfits sortierten und uns „Hobbykleiderständer“ genervt aus dem Weg scheuchten, als wir planlos in der Gegend herumstanden. „Typisch zickige Models!“, raunte ich meiner großen Klappe zu. „Scheiß di net an!“, konterte die. „Deine Outfits sind da, also brauchst du hier nicht blöd herumstehen. Geh dich lieber schminken lassen, du schaust aus wie ein Uhu.“ Man hat es nicht leicht mit einer großen Klappe.

Als ich endlich ein bisschen Farbe im Gesicht hatte, riskierte auch mein Selbstbewusstsein einen kurzen Blick. „Zwei Zentimeter mehr Grundierung hätten deine Pickelnarben schon vertragen“, motzte es und verschwand wieder im Keller. „Du mich auch,“ meinte ich und verschwand zum Friseur.

Dort saßen bereits all die Schönheiten und wurden noch schöner gemacht. Die Frisörinnen arbeiteten im Akkord: Zöpfe hier, Locken dort – keine Panik, irgendwie geht sich alles aus. Nur ich saß da wie ein ungemachtes Bett und wartete auf bessere Zeiten. Aus dem Keller hörte ich ein boshaftes Kichern.

„Was mach ich hier eigentlich?“ raunzte ich meine große Klappe an. „Warten.“, motzte sie zurück. „Wirst schon noch rechtzeitig drankommen.“ „Und wenn nicht?“ „Dann gehst du eben so auf die Bühne. Ist schließlich nicht dein Problem, wenn du scheiße ausschaust – du siehst dich eh nicht!“ Arschloch. Gut, dass mein Selbstbewusstsein sicher im Keller saß – es hätte bei dieser Aussage einen Nervenzusammenbruch bekommen…

Irgendwann erbarmte sich eine der Friseurinnen und widmete sich den Schnittlauchlocken auf meinem Kopf mit den Worten: „Bei dir ist ja noch gar nichts gemacht worden! Warst du schon schminken?“ „Hmpf,“ sagte die große Klappe, während im Keller jemand einen Lachanfall sondergleichen bekam.

Als ich wenige Minuten später – gerade noch rechtzeitig! – mit einem prächtigen Lockenkopf wieder in die Umkleidekabine hastete, klopfte mir die große Klappe aufmunternd auf die Schultern und meinte: „So scheiße siehst du gar nicht mehr aus. Schau, dass du in deine Klamotten kommst, in zehn Minuten gehts los!“

Da stand ich nun, in einem Outfit, dass ich mir selbst niemals ausgesucht hätte, umgeben von vielen schönen Menschen in viel tolleren Outfits, die gemeinsam mit mir auf den großen Auftritt warteten. „Was machst du, wenn du da rauf gehst?“ fragte meine große Klappe geschäftsmäßig. „Keine Ahnung!“, antwortete ich. „Einen belämmerten Eindruck vielleicht?“ „Reiß dich zusammen und schau, was die anderen machen!“, schnauzte die große Klappe. Und da geschah ein Wunder.

Ich schaute hin. Ich hörte hin. Ich stellte überrascht fest, dass ich nicht von Kleiderständern, sondern von lauter ganz normalen Menschen umgeben war: Die perfekt geschminkte osteuropäische Schönheit (oh mein Gott, ist die schön!) fühlte sich in ihrem Outfit genauso unwohl wie ich. Die Profimodels hasteten direkt vom Laufsteg in die Umkleidekabine und schmissen sich in Rekordzeit ins nächste Kleid – wieder und wieder! Die langbeinige Brünette versuchte verzweifelt, ihr kurzes Kleidchen so über ihren Knackpo zu bekommen, dass man nicht ins gelobte Land sehen konnte. Der bärtige Hühne überspielte seine Unsicherheit, indem er die lange Liste seiner schlimmsten Modelaufträge herunterbetete – bei Schuhgröße 45 mit 42er-Schischuhen über den Laufsteg zu müssen grenzt an Folter. Die zierliche Rothaarige erzählte von ihrem Hobby Rennfahren und fürchtete sich, von der Bühne zu fallen. Die Miss berichtete, dass sie gerade die Matura nachmacht. Der coole Typ mit den grauen Locken, der zwei Agenturen leitet, arbeitet im Brotjob als AMS-Berater. Die zickige Blondine, die in der Früh Stress gemacht hat, will einfach nur ihre Arbeit gut erledigen. Der extraschmale 24-Jährige hat in Tokio, Mailand und was weiß ich wo noch gearbeitet, ist für Dior in den USA gelaufen und hat in seinem jungen Alter schon das Gefühl, alles gesehen zu haben.

Meine Ansichten über Models und das Modelbusiness habe ich gestern in die Tonne getreten – und einige Ansichten über mich gleich dazu. Dann bin ich raus auf den Laufsteg gestöckelt. Mein Selbstbewusstsein saß in der ersten Reihe und hat mir mit großen Augen und offenem Mund zugesehen. Mit einem gewagten Luftsprung hab ich mich von der Bühne verabschiedet – dass der nur deshalb notwendig war, weil ich die Bühnentreppe verpasst habe, ist niemandem aufgefallen.

Unten nahm ich meine große Klappe liebevoll in den Arm. „Danke, dass du mir diese Erfahrung ermöglicht hast,“ flüsterte ich ihr zu. „Dafür hast du mich ja,“ antwortete sie. Mein Selbstbewusstsein gesellte sich zu uns und schien ein paar Zentimeter gewachsen zu sein. Schüchtern meinte es: „Das war ziemlich cool, liebe große Klappe. Darf ich beim nächsten Durchgang vielleicht auch mit auf die Bühne?“

„Was glaubst du, warum ich mir den ganzen Scheiß mit euch antu?“, konterte meine große Klappe. „Rauf mit dir!“

Vielleicht werden die beiden doch noch Freunde…