kleine blume

Singen, klatschen, Namen tanzen? Wir fühlen der alternativen Lerngruppe „Kleine Blume“ auf den Zahn

Ulrike und Raimung Stix halten nicht viel vom österreichischen Schulsystem. Ihren Sohn wollen sie daher nicht in eine „normale“ Volksschule schicken. Die Alternative, den Buben zuhause zu unterrichten, kam für die beiden St. Margarethener allerdings auch nicht in Frage: „Da fehlt einfach der soziale Kontakt,“ meint Ulrike. Raimund ergänzt: „Wenn du ihn anschaust, wenn du Kinder beobachtest, was willst du ihnen beibringen? Du kannst sie nur begleiten und schauen, dass sie das, was sie in sich tragen, so gut es geht und so lange wie möglich in sich behalten, um sich dann als wertvolle und verantwortungsvolle Menschen, als Erwachsene einzubringen.“

Die Lösung fanden Ulrike und Raimund in einem Buch über „Anastasia, die Waldfrau aus der Taiga“ und im Konzept der russischen Schetinin-Schule. Dort steigen die Kinder im Alter von zehn Jahren ein und erreichen binnen zwei Jahren Maturaniveau.

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Raimund und Ulrike Stix starten im Herbst eine Lerngruppe für Kinder im Volksschulalter – als Alternative zum Regelschulsystem.

„Erst haben wir uns schon gedacht, wie soll das gehen?“, erzählt Ulrike.

„Wir sind gewohnt, dass wir neun Jahre in die Schule gehen, und nicht einmal dann wissen wir alles. Diese Kinder gehen nach zwei Jahren studieren!“

Trotz anfänglicher Skepsis nahmen sie Kontakt auf mit einem Schüler dieser Schule, der als Lernbegleiter dieses Konzept nach Österreich gebracht hat.

So kamen sie auch in Berührung mit der Lais-Schule in Kärnten und entschlossen sich, selbst eine Lais-Lerngruppe zu gründen. Mit Beginn des kommenden Schuljahres startet die erste Lais-Lerngruppe in St. Margarethen an der Raab. Sechs Kinder lernen hier von und mit der Natur, erarbeiten den Unterrichtsstoff und legen regelmäßig Externistenprüfungen ab.

Klingt ein wenig nach Hippie-Kommune. Ob an diesem neuartigen „Schulkonzept“ was dran sein kann, wollten WIR OSTSTEIRER von Ulrike und Raimund ganz genau wissen. Wir haben ihnen die unmöglichsten Fragen gestellt um zu erfahren, ob und wie die Lais-Lerngruppe funktioniert. Ulrike und Raimund Stix standen uns Rede und Antwort.

Wie läuft der Tag in einer Lais-Gruppe ab?

Ulrike: Wir treffen uns von Montag bis Donnerstag von 8 bis 15 Uhr und am Freitag ist frei. Die Kinder kommen um 8 Uhr her, da starten wir mit einem Frühstück. Da können sie einmal ankommen, etwas spielen, einfach da sein und um 9 Uhr herum gibt es die erste Lerneinheit. Vorher macht es keinen Sinn, da ist noch keiner ausgeschlafen. Außer unser Sohn, der steht schon um fünf Uhr auf. Wir kochen gemeinsam mit den Kindern, wir arbeiten mit ihnen im Garten und begleiten sie beim Erarbeiten des Lernstoffs. Es gibt keine Klassen, die Kinder aller Altersstufen lernen zusammen.

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Auf diesem Platz, direkt neben Ulrikes und Raimunds Wohnhaus in Zöbing, entsteht bis zum Herbst der Klassenraum.

Wie schaut das Lernen in der Lais-Gruppe aus?

Ulrike: Wir haben Schaubilder, da steht der ganze Wissensstoff oben, das wird mit den Kindern erarbeitet. Wenn man zum Beispiel mit Mathematik beginnt, fragt man, was ist Mathematik, einfach um einmal zu schauen, was ist in den Kindern drinnen. Bevor das ganze lernen überhaupt einmal beginnt, muss man die Kinder erst einmal „rausholen“, den Deckel aufmachen, den wir alle draufhaben auf unserem Topf, damit das Wissen rauskommt. Je länger die Kinder schon in einer Schulerfahrung drinnen waren, um so länger brauchen sie auch wieder, um in das natürliche Lernen hineinzukommen.

Gibt es schon Erfahrungen mit dieser Art des Lernens?

Raimund: Mit Herbst letzten Jahres sind in Österreich 36 Gruppen gestartet und diesen Herbst kommen wieder einige dazu. In Oberösterreich tut sich sehr viel, auch in Wien, Niederösterreich, Tirol, Kärnten und Salzburg. Auch in unserer Region gibt es schon Gruppen in St. Ruprecht, in Pinggau, in Birkfeld und in Graz-Mariatrost.

Ulrike: Wir hatten jetzt einen Vortragsabend, da waren drei Mädels aus der Lerngruppe in Pinggau, die haben erzählt, wie sie so lernen. Sie hatten gerade eine Externistenprüfung, alles Einser und Zweier. Vom Wissensstoff sind sie weit, weit darüber.

Raimund: Weit über das Niveau hinaus von dem, was in der Volksschule abgefragt wird, weil es von sich aus kommt und weil sie es auf allen Ebenen verstanden haben. Ein Mädchen hat in Geografie einen Vulkan nachgebaut, alles zum Angreifen, und wenn du so etwas baust, dann brauchst du keinen Test schreiben, denn du hast es verstanden, du weißt worum es geht.

Warum funktioniert für euch die Regelschule nicht?

Ulrike: Es gibt natürlich sehr viele Pädagogen, die wirklich gut sind und die wirklich motiviert sind. Durch das Korsett der strengen Lehrpläne und straffen Unterrichtseinheiten ist es schwer, in dieser kurzen Zeit eine Begeisterung hervorzuholen. In der nächsten Stunde kommt wieder etwas anderes. Ich hab nie ein Problem gehabt mit der Schule, bin immer gerne in die Schule gegangen, war zwar nie eine Vorzugsschülerin, aber ich habe immer gewusst, wie ich zurechtkomme. Ich habe immer eine gute Überlebenstaktik gehabt.

Raimund: Genau das ist es, den Kindern wird angewöhnt, irgendwie durchzukommen.

Ulrike: Ja genau, wir kommen einfach durch. Wir kennen unsere Strategie, irgendwann wissen wir, wie wir mit den Lehrern umgehen, wie wir mit gewissen Prüfungssituationen umgehen, jeder auf seine Art und Weise und so wurschtel man sich halt durch. Diese Begeisterung ist gedämmt worden, das eigene Erforschen, das eigene Nachspüren. Im Natürlichen Lernen geht es eben darum, dass die eigenen, inneren Impulse wieder geweckt werden und das die Begeisterung fürs Lernen wieder rauskommt.

Raimund: Und die Lehrerin weiß mehr, die weiß alles. Wir sind damals in die Schule gekommen mit dem Wissen, wir können ja eh alle nichts.

Der zweite Aspekt, der meiner Meinung nach bewirkt, dass das Regelschulsystem früher oder später kippen muss, ist der Wettbewerb. Das beginnt schon im Kindergarten: Der kann das besser, der kann das, der kann das und auch wenn gesagt wird, dass es nicht bewertet wird – sobald du in diesem Regelschulsystem drinnen bist, bist du in diesem Wettbewerb.

Was wir beim Natürlich Lernen machen ist, dass alle, so gut es geht, auf Augenhöhe sind. Wir geben den Kindern nicht die Antworten, sondern stellen ihnen eine Frage. Dann beginnt das Kind zu recherchieren. Dann nimmt es vielleicht einen Stein und schlägt und klopft und dann funkt es. Und dann probiert es, ob es noch einmal funkt, um gewisse Dinge zu erfahren. Bei mir damals im Physikunterricht war es so: Vorne hat es geklescht und gepufft und das hat der Physiklehrer gemacht, wir durften nur zuschauen.

Naturwissenschaften kann man erfahren. Was ist mit Deutsch und Mathematik?

Ulrike: Deutsch – schreiben – ist künstlich. Das ist eine erzeugte Wissenschaft, erfunden von uns Menschen, um uns zurecht zu finden. Das Interesse daran ist bei den Kindern aber da. Unser Sohn schreibt schon Buchstaben und zwar nicht, weil wir es ihm gesagt haben, sondern das kommt einfach so mit 4 Jahren herum.

Mathematik hingegen ist natürlich, denn alles in der Natur ist Mathematik. Wenn du einen Apfel aufschneidest, wirst du in jedem Apfel fünf Kerngehäuse finden, wenn du einen Samenkern aufspaltest, das hat alles einen gewissen Bauplan, alles eine mathematische Ordnung: Fibonacci-Code, der Goldene Schnitt…

Raimund: Wir haben einen großen Garten und da wird gemeinsam mit den Kindern im Garten gearbeitet. Biologie und Mathematik und Astronomie fließen dabei gemeinsam ein. Wie viele Samen setzen wir ein, da können sie mitrechnen, mitzählen. Wie viel ist die Ernte, wie viele Kilo kommen da heraus, was passiert damit? Das Rechnen fließt da mit ein und auf der anderen Seite fließen die Mondphasen mit ein, die Gestirne, es fließt auch dieses universelle Wissen mit ein, diese Natürlichkeit.

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Die Freude am Lernen steht in der Lerngruppe im Vordergrund. Wissbegierig sind die Kinder von Natur aus.

Sind Kinder, die so lernen, auf unsere Leistungsgesellschaft überhaupt vorbereitet?

Ulrike: Die Regelschule hat diese „Garantie“, dass aus meinem Kind etwas wird. Das ist ja auch der Wunsch von uns allen, jeder will das beste für sein Kind. Die Kinder in der Lerngruppe erleben durch die Externistenprüfungen genauso Leistungsanspruch und sind nervös und aufgeregt. Sie haben aber auch gelernt, mit ihrer Aufregung umzugehen.

Wir haben nachgeforscht: Die Kinder in Russland integrieren sich sehr gut. Sie gehen ihren Begeisterungen und ihren Talent nach. Da sind Kinder dabei, die sich den Naturwissenschaften verschrieben haben, die dann in die Forschung gegangen sind, an ökologischen Bauweisen oder ökologischer Energiegewinnung arbeiten. Oder sie sind selber Lehrer, Lernbegleiter. Sie stehen selbstverständlich im Leben, aber im Unterschied zu uns kommen sie nicht mit 35 erst drauf, was ihnen Spaß macht oder was sie gerne machen würden.


 

Wo finden interessierte Eltern weitere Informationen?

Auf der Homepage www.kleineblume.at finden interessierte Eltern weitere Informationen zur Lerngruppe in St. Margarethen. Jeden 1. Montag im Monat gibt es in der Hügellandhalle in St. Margarethen einen Informationsabend. Es gibt dabei immer einen speziellen Schwerpunkt, Berichte aus der Praxis und Details über die Vision der Kleinen Blume.